Daan Heerma van Voss

Ich sprenge nur auf schriftlichen Befehl

Daan Heerma van Voss

Ich sprenge nur auf schriftlichen Befehl

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Unteroffizier Guy Bohn war im bürgerlichen Leben Anwalt. Als Soldat Frankreichs war er im Winter 1939 in der Nähe der luxemburgischen Grenze wegen einer aggressiven Lungenentzündung aus dem Frontgeschehen ausgeschieden. Jetzt tat er Dienst in der JURISTISCHEN ABTEILUNG der Pioniertruppen in Paris. Am 12. Juni 1940, einem Mittwoch, beorderte ihn Korps-Kommandeur Oberst A. Reginbal in sein Amtszimmer. Aus der Personalakte Bohns ergab sich, daß er einen Kursus im Sprengen von Stahlkonstruktionen und gesicherten Brücken absolviert hatte.

Reginbal eröffnete Bohn, er solle die höchste und leistungsfähigste Antenne Frankreichs und dazu den Turm, an dessen Spitze diese Antenne befestigt war, ehe noch die deutsche 18. Armee in Paris einmarschieren werde, in die Luft sprengen. Bohns erste Antwort:

Warum ich?

Nach den Dienstvorschriften für das Pionierwesen, das wußte Bohn, war nur ein aktiver Offizier berechtigt, eine Sprengung dieses Kalibers auszuführen, nicht aber ein Mitglied der Rechtsabteilung im Unteroffiziersrang.

 

– Ich bedaure, den Auftrag ablehnen zu müssen.

– Es ist kein Auftrag, sondern ein Befehl. Sie sind der einzige Mann mit den erforderlichen Fertigkeiten, den ich hier erreiche.

– Gewiß. Aber ohne Befugnis.

– Mit meiner Zustimmung haben Sie die Befugnis.

– Erhalte ich den Befehl schriftlich?

– Nein.

– Dann bedaure ich.

 

Mehrere Unklarheiten. Paris war zur Offenen Stadt erklärt, das verbot »feindselige Aktionen« innerhalb der Stadt. Zweifellos handelte es sich bei der Sprengung eines für die militärische Kommunikation wertvollen Bauwerks um einen feindseligen Akt. Bohn sah eine doppelte Gefahr: Er konnte von den eigenen Disziplinarbehörden, wenn diese sich nach dem vorübergehenden Untergang von Paris re-etablierten, zur Rechenschaft gezogen werden. Aber auch der Feind, falls Bohn in seine Hände geriete, konnte ihn nach Kriegsrecht als Saboteur, d. h. Verletzer des Status von Paris, belangen.

 

– Man braucht für eine Sprengung dieser Größenordnung ein Team von Pionieren. Fünfzehn Mann. Außerdem brauche ich die Baupläne des Turms. Ich muß wissen, ob bereits Sprengstoffnischen vorgesehen sind.

– Sie sind also bereit?

– Das habe ich nicht gesagt. Selbst wenn ich dies alles habe, braucht ein solches Unternehmen zwei Tage.

– Die haben Sie, falls die Deutschen so lange warten.

– Glauben Sie, daß sie das tun, Herr Oberst?

– Von irgendwelchen Annahmen müssen wir ausgehen.

– Bei hinreichend starkem Sprengstoff stürzt der Turm vielleicht um. Aber selbst wenn er sich zur Seite neigt, wird niemand den Schaden beheben können. Es wäre eine Kriegshandlung.

– Kriegshandlungen sind nicht gestattet.

– Sie sagen es, Herr Oberst.

– Wir befinden uns in einer außerordentlichen Situation.

– Das Kriegsrecht kennt nur außerordentliche Situationen.

– Als Ihr Vorgesetzter gebe ich Ihnen den Befehl.

– Einen widerrechtlichen Befehl muß ich nicht annehmen. Man wird mir sagen: Sie sind bei den Pionieren als Jurist tätig.

– Im Krieg heißt es: Jeder tut, was er kann. Sie sind als Sprengmeister ausgebildet.

– Ja, aber nicht in einer Offenen Stadt.

– Sie wollen sich drücken.

– Keineswegs. Ich bringe Ihrem Befehl Bedenken entgegen.

 

Der Oberst schwieg. Bohns wesentlicher Grund für die Weigerung blieb undiskutiert: Wie kann man das Symbol von Paris in die Luft jagen? Die Situation, daß fremde Truppen die Stadt besetzten, wie schon 1815, wie schon 1871, war nicht ungewöhnlich genug. Der Oberst schien aufgeregt. Bohn war seinem Charakter nach nicht grundsatztreu. Eine aufwendige Sprengung hätte ihm gefallen. Er besaß aber nicht Anmaßung (»Ich-Gefühl«) genug, um sich zum ZERSTÖRER DES EIFFELTURMS aufzuraffen. Man konnte die Nervosität, den Umsturz der Gefühle, in der großen Stadt an diesem Mittwoch (erst zwei Tage später rückten die deutschen Truppen tatsächlich ein) auch anders ausdrücken als durch solche Gewalttat. Auch der Oberst zögerte. Er befahl Bohn, im Hauptquartier zu bleiben, auf weitere Befehle zu warten.

In den dreißiger Jahren ereignete sich eine Umwälzung im Bild der Intellektuellen. Sie meldeten sich während des Studiums zu praktischen Kursen, wollten in etwas Drastischem ausgebildet werden, passend für das JAHRHUNDERT DER TAT. Junge Juristen, Ärzte, die Schüler der Großen Schulen, künftige Parlamentarier, Orientalisten, meldeten sich für Flugzeugführer-Lehrgänge, Fallschirmjäger- und Sprengmeister-Kurse, zu Überlebenstrainings in Nordafrika usf. So kürzten sie den Militärdienst, zugleich die Studien. Professionalität ergreift, so Saint-Exupéry, Hirn und Hand. Das entspricht dem Berufsbild des Ingenieurs Ingenieure der Seele, Operateure der Dichtkunst, Monteure der Körper und der Gifte (Ärzte, Apotheker), Maschinisten der Staatskunst. Ein Menschentyp der Handgreiflichkeit, geeignet für Gesellschaften, die sich gewaltsam durchsetzen; »wie es Frauen gefällt«. .

Das zukunftsorientierte Menschenbild war für Situationen der Defensive, wie sie derzeit für Frankreich charakteristisch waren, wenig geeignet. Ließ sich das Angstgefühl, die zornige Wut in den Stäben von Paris, offensiv umdeuten? Noch regierte das französische Militär über Funk ein Weltreich. Um 15 Uhr, die Stunden schwanden so rasch, wurde Bohn erneut in das Büro des Obersten gerufen. Man wolle nun doch den Eiffelturm nicht sprengen; auch fänden sich die Baupläne nicht. Statt dessen gäbe es etwas anderes zu tun. Eineinhalb Kilometer südlich von Paris, also dicht neben der OFFENEN STADT im Fort Issy-les-Moulineaux, befand sich ein Militärsender, eine Stahlkonstruktion mit zwei Türmen von 70 Metern Höhe, also ein ähnliches, aber von der Bevölkerung nicht ebenso geliebtes Objekt wie der Eiffelturm; dies sei die Schaltstelle, über welche die französischen Truppen in Syrien über Funk zu erreichen seien.

Bohn, zwei Koffer mit Melinit in kleinen Stangen, brach sofort auf. Keine Fahrzeuge im Hof. Mit der Metro begab er sich an den Südrand der Stadt, dort kein Taxi. Die Anlage, die Bohn vorfand, bestand aus zwei Stahltürmen, 140 Meter voneinander entfernt. Sie standen auf ähnlich gekrümmten Stützpfei-lern, wie sie der Eiffelturm aufwies. Bohn deponierte unter den Pfeilern das Melinit. Im Gefahrenfall wirkt die Tat im Hirn und in den Nerven als Droge. Mehr Sprengstoff, das war es, was Bohn brauchte. In einer Kaserne erpreßte er die Bereitstellung eines Lastwagens, eines Fahrers. Den Kasten mit Knallquecksilber-Sprengkapseln hielt er auf dem Schoß, im Ernstfall nicht weit genug entfernt vom Sprengstoff auf der Ladefläche. Er war nicht sicher, daß er im Fall seines Erfolgs mit offizieller Anerkennung rechnen durfte.

Der Abend fiel herein. Es herrschte Westwind. Das Handbuch für die Durchführung von Sprengungen an Stahlgerüsten, das er bei einem kurzen Imbiß durchblätterte, stammte aus dem Jahre 1890. Um 22 Uhr trafen in dieser Sendeanlage, die mit 17 Funkern besetzt war, vom Eiffelturm immer noch Telegramme ein, die nach Beirut weitergeleitet wurden. Um 1 Uhr nachts informierte die Station alle überseeischen Stationen Frankreichs, man werde den Betrieb jetzt einstellen.

 

Eine Stunde des Abschieds. Eine Stunde der Aufregung; sie schlugen mit Hämmern auf die Sendegeräte ein, zerrissen mit Zangen die elektrischen Leitungen. Um 4 Uhr früh dämmerte es. Die Mannschaft entfernte sich. Mit einer Zigarette zündete Bohn die Zündschnur. Er rannte, zählte bis 110. Eine einzige trockene Detonation, Metallregen.

Der zweite der Türme stürzte auf die Sendezentrale. Ein Extra-Bonus. Zerstörer Bohn inspizierte die zertrümmerten Pfeiler, das klaffende Loch, wo noch vor kurzer Zeit die Hauptanlage ideelle Verbindungen in die extreme Ferne gesandt hatte. Um 8.30 Uhr langte Bohn am Fuße des Eiffelturms an. Noch hatte er Vorrat auf dem Lastwagen. Jetzt wäre er bereit gewesen, müde und beden-kenlos, noch unter der Droge der Tat, auch diesen Turm zu fällen. Eine Pioniereinheit war hier verfügbar. Sie zerstörte die Generatoren auf der ersten Plattform mit Schmiedehämmern. Welchen Vorteil hätte die Funkverbindung nach Syrien, zum Senegal, nach Französisch-Guayana, in den Pazifik für Deutsche haben können, vorausgesetzt, sie hätten französisch sprechende Funker dabei?

 

Über die professionelle Sprengung der Türme von Issy schrieb der Kommandeur dieses Forts später einen ZERSTÖRUNGSBERICHT. Lob für Bohn gab es nicht, auch keine Bestrafung. Als Bohn, noch ehe die deutschen Verbände in Paris einmarschierten, um die Erlaubnis bat, die Überreste des Forts zu besichtigen, wurde er abgewiesen. So wandte er sich für kurze Zeit der Bearbeitung seiner Akten zu. Was konnte er sonst fürs Vaterland noch tun?

 

Das Licht der Sonne – nie genügt es /

Zu träge der Planeten Bahn.

 

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