Philipp Schönthaler

Ihre Mikrowelle

Philipp Schönthaler

Ihre Mikrowelle

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Datum: Mon, 19. August 20:41:42-0700 (PDT)

Von: Henning

An: Kundendienst

Betreff: ihre Mikrowelle

 

To whom it may concern,

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich schreibe in einer Angelegenheit, die trivial wirken mag, auf den ersten Blick glänzt sie geradezu vor Belanglosigkeit, zumal ich der letzte wäre, der wegen eines tiefgefrorenen Krispy Cream Donut natur mit laktosefreier Kokos-Vanillefüllung auf sich aufmerksam machen will, jenem Universalfood Donut also, den ich am 6. Juni gegen 18:34 Uhr in ihrer Mikrowelle (Modell: MagicWant single) gemäß meiner Gewohnheit in nur fünfunddreißig Sekunden zu meiner vollen Zufriedenheit aufgetaut habe. Was ich damit vorab sagen will: Ich bin mir bewusst, dass sie vor Aufgaben stehen, die nicht nur für Außenstehende dringlicher erscheinen, sondern dies unter Einbezug sämtlicher Faktoren auch tatsächlich sind. Lassen Sie mich also vorab jedes Missverständnis ausräumen: Ich melde hiermit keine Funktionsstörung o.g. Mikrowelle oder einer ihrer zahlreichen Apparate oder Applikationen in meiner Wohneinheit, die ihren Dienst allesamt einwandfrei verrichten, zumindest gehe ich davon aus (?). Läge eine technische Panne vor, die Sache wäre eindeutig und ließe sich leicht benennen (und wären Sie nicht sowieso von dem Defekt längst unterrichtet, ich meine, man ließ mich wissen, dass die Geräte Funktionsstörungen selbstständig an Sie senden, und Sie den Schaden womöglich sogar aus der Ferne beheben können, ohne eigenes einen Spezialisten oder Monteur (?) vor Ort schicken zu müssen?). Ich sehe mich daher gezwungen, auszuholen, ich werde mich möglichst knapp fassen, mir ist bewusst (oder zumindest nehme ich an, ohne dabei den hohen Automationsgrad ihrer Apparate infrage stellen zu wollen), dass die Zeit, die Sie einzelnen Nutzern widmen können, begrenzt ist (und wem sage ich, dass die Zeit eine kostbare Ressource ist, schließlich schreiben Sie dies gleich zu Beginn ihres mission statements, und zwar als Unternehmen mit mehrjährigen Erfahrungen, alternativ sprechen Sie von Daten, um ihren Kunden neben zahllosen Erleichterungen vor allem Zeitersparnisse zu garantieren, die im Einzelnen vielleicht gering, in der Summe aber beachtlich – und verwenden Sie in diesem Zusammenhang nicht sogar das Wort »Revolution« und, vermutlich wollen Sie mit dem ebenfalls verwendeten Kompositum auf den friedlichen Charakter des Ganzen verweisen (?): »Heimrevolution« – ausfallen). (Würden Sie mich direkt darauf ansprechen, und nach meinen Assoziationen fragen – ich gehe jedoch davon aus, dass Sie in dieser Sache bereits hinreichende Einblicke in die Gewohnheiten und Präferenzen ihrer Nutzer haben, zumindest deute ich eine jüngere Werbung ihres Unternehmens in dieser Richtung –, denke ich hierbei in erster Linie an ihr biometrisches Schließsystem, den intelligenten Kühlschrank YourMaid mit seiner exklusiven Bestellapplikationen für Universalfoodprodukte, den Staubsaugerroboter DustDeath II inklusive seiner Zwillingsschwester, dem Fenstersaubsauger AlwaysOntheBrightSide, und insbesondere den intelligenten Fernsehsessel Belaqua, die Liste ließe sich leicht fortsetzen, ihren Toaster e-Sunbeam, der wahlweise den tagesaktuellen DAX 30 Kurs oder die persönlichen systolischen und diastolischen Blutwerte auf den Toast brennt (oder beides miteinander überlagert), ist zweifelsfrei eine Spielerei, die ans Kindische grenzt, bereitet mir morgens aber dennoch immer wieder ein stilles Vergnügen).

 

Lassen Sie mich also zu dem Vorfall kommen, oder sagen wir lieber: den Umstand schildern, Vorfall wäre in diesem Kontext ein zu großer Begriff, der falsche Erwartungen wecken könnte, ebenso wie Ereignis, selbst Begebenheit, vielleicht kann man einfach von Hergängen sprechen oder Abläufen (in die mehrere Faktoren hineinspielen, deren präzise Funktion und Funktionsweise für mich oftmals im Dunkeln bleibt, wobei natürlich auch ich als Person und Handelnder zwangsläufig einen dieser Faktoren verkörpere), ohne dass ich zwischen Ursachen und Wirkungen in der jeweils gebotenen Schärfe zu unterscheiden wüsste, als ich an besagtem Abend am 6. Juni wie gewöhnlich zwischen sechs und halbsieben von der Arbeit nach Hause in meine Einheit zurückkehrte. Die Wohneinheit habe ich vor genau einem Jahr, am 1. August, bezogen, sie können dies ihrem über mich angelegten Profil vermutlich entnehmen (falls es keine große Mühe bereitet, würde ich bei Gelegenheit gerne einen Blick darauf werfen, ich sage dies frei von Hintergedanken, es wäre reine Neugier, sie betrifft allein das Format des besagten Profils (läge es eher in der Form eines Protokolls, einer Akte oder eines Dossiers vor und muss ich es mir eher chronologisch, typologisch oder synoptisch als Nutzerhistorie oder Biografie aufbereitet vorstellen, ich meine sogar, kürzlich einen Beitrag gelesen zu haben, dessen Autor behauptete, dass der Umgang mit großen Datenbergen die Nutzer zu regelrechten Romanfiguren à la Oliver Twist machen würde, nur das es nun für die Leser oder Ausleser dieser Daten gar nicht mehr so leicht sei, zwischen fiktionalem und realem Protagonisten zu unterscheiden?), vielleicht spielen auch Gründe der Eitelkeit mit in diese Anfrage nach dem Profil hinein, ich will dies keineswegs ausschließen, aber vielleicht finden sich darin ja auch für mich aufschlussreiche Einsichten, ich erwähne dies aber nur, und komme überhaupt erst in diesem Moment auf den Gedanken, da ich mich mit diesem Schreiben sowieso an Sie wende), in großer Erwartung und bisher zu meiner vollständigen Zufriedenheit. Wie Sie vermutlich wissen, betrete ich meine Wohnung an mindestens zwei Tagen in der Woche mit einer gewissen Ungeduld (leicht erhöhter Puls, flacher Atem etc.) (und es ist wirklich eine enorme Erleichterung, dass ich keinen Schlüsselbund mehr aus der Tasche klauben muss. Ich war einer jener Menschen, die ihren Schlüssel jedes Mal in unzähligen verfügbaren Taschen suchen musste, nicht selten wurde ich bei dem Gedanken eines Verlusts von einer plötzlichen Panik ergriffen, die Panik führte zu einer gesteigerten Schweißproduktion, zuerst im unteren Rückenbereich, dann im Nacken hinter den Ohren (der Schweiß rührte also weniger aus einer physischen Verausgabung, sondern – zumindest in Teilen – aus der Vorstellung, dass mich meine hinter ihrem Rollo stehenden Nachbarn schon wieder in dieser beschämenden, weil letztlich hilflosen, und in dieser Hilflosigkeit unwillkürlich kindlichen Geste ausgesetzt vor der eigenen Tür stehen sehen könnten), obwohl ich den Schlüssel in mittlerweile dreiundfünfzig Jahren niemals verloren und im letzten Moment zu meiner großen Erleichterung, ohne dass ich mir das hätte anmerken lassen, jedes Mal doch noch gefunden habe). Wenn ich meine Einheit dieser Tage nach wie vor in einem Zustand der inneren Anspannung betrete (manchmal frage ich mich, ob Außenstehende bei meinem Anblick auf einen diffusen Leidensdruck schließen?) (wobei es mir unangenehm wäre, dass ich der Vermutung Vorschub leisten könnte, an einer Blasenschwäche zu leiden, es mag harmlos sein und ist trotz allem verhext, aber ich werde diese Projektion trotz verschiedener meditativer Gegenmaßnahmen nicht los), liegen die Dinge anders als in Zeiten des Metallschlüsselbunds. Jetzt steht hinter der Ungeduld nichts weiter als das ebenso einfache wie instinktive Bedürfnis, möglichst schnell die Tür zu meiner Einheit hinter mir zu verriegeln (was natürlich automatisch geschieht, nur beim Entriegelungsvorgang führt meine Hast manchmal zu einem Abbruch des Verifikationsprozesses, sodass ich erneut einen Schritt zurück- und wieder vortreten muss, beim Zurücktreten zähle ich bis fünf, da ein zu rasches wieder Vortreten zu noch größeren Verzögerungen führt), um die Welt, der ich mit dem Eintritt in meine Einheit den Rücken kehre, auszuschließen, sodass ich nach einem langen Tag endlich in eine zu diesem Zeitpunkt heftig ersehnte Ruhe einkehren kann. Meine neue Einheit hat mir gerade auch in dieser Stimmungslage von Anfang an ein erhebliches Glücksgefühl bereitet, es mag aus der Geste rühren, beim Eintritt in die Einheit meine Hand um den biometrischen Türknauf zu legen, den Kopf leicht in den Nacken geknickt, um in das kleine Auge der Kamera zu blicken (die für meinen Geschmack eine Idee zu hoch angebracht ist, aber ist es in den Zukunftsfilmen, die ich in meiner Jugend mit großer Hingabe angeschaut habe, nicht ebenso, dass die Protagonisten mit einer leichten Links- oder Rechtswendung ihrer Köpfe aufschauen müssen? Manchmal drängt sich mir aber auch das Bild einer alten Frau auf, die, ihre Hände gefaltet und den Kopf wie eine Filmschauspielerin erhoben, zu einer Heiligenfigur in einer der katholischen Kirchen aufblickt, wie ich sie als Kind auf Familienurlauben gemeinsam mit meinen Eltern beobachtet habe; von den von meiner Mutter initiierten Kirchenbesuchen ist mir anders als die Himmelsdarstellung allein das Bild der kleinwüchsigen Frau erinnerlich, obwohl wir mit Sicherheit bedeutsame Deckengemälde gesehen haben (Michelangelo etc.)). Letztlich ist es aber wohl die Summe und Konstellation der zahlreichen kleinen Gesten und Sinneseindrücke, die eine simple Dopaminausschüttung bewirkt, und mich in die alberne, aber darin  glückliche Vorstellung versetzt, soeben in ein Raumschiff zu steigen (und was könnte ein größeres Freiheitsversprechen tragen, als die Fantasie, am Ende des Tags, nach getaner Arbeit, ein Raumschiff zu betreten, um hinaus, in die stillen Weiten des Alls zu gleiten und all den kleinlichen Sorgen des Alltags sanft enthoben zu werden?) (Wenn ich richtig informiert bin, ist Ihr Unternehmen als Investor an einem Unternehmen beteiligt, das den privaten Mond- und Marsflug mit visionären Eifer zeitnah auf die Beine zu stellen sucht?) (Dokumentarfilme, aber auch Romane – ich weiß nicht, ob Sie auch hier über meine Vorlieben unterrichtet sind, falls ja, so muss ich dies nicht eigenes erwähnen –, die sich mit dem Thema des Mars- und anderer Planetenflüge in allen ihren Facetten befassen, gehören noch immer zu meinen großen Leidenschaften). Kurz gesagt betrete ich meine Einheit gerne und mit hohen Erwartungen, zudem spüre ich deutlich ihr Potenzial sowie das Befreiende, das in einer Konzentration auf Wesentliches gründet (wie es von ihren Produkten heißt), die mir das Leben (und muss es anderen Menschen nicht ähnlich gehen?) mit der neuen Wohneinheit erschließt. Wenn ich die Wohneinheit nach wie vor in einem Zustand innerer Anspannung betrete, dann liegt das nicht an ihren selbsttätigen Apparaten, im Gegenteil, ich trage die Last und Erregung aus der Außenwelt in meine Einheit hinein, kurzum: Ich spreche von meinem Heißhunger (er beschränkt sich auf Süßspeisen, vielleicht sollte man also besser von Appetit statt Hunger sprechen, auch ein sogenannter Fressanfall (FA), wie er u.a. im DSM und ICD-10 gelistet ist, ginge an dieser Stelle entschieden zu weit, es liegt hier also, um es mit aller Deutlichkeit zu sagen, kein klinischer Fall vor), der möglicherweise in einer untergründigen Beziehung zu dem o.g. Isolationsbedürfnis steht, auch wenn ich über den Zusammenhang beider Sensationen, hier Appetit, dort Abschottung, kein fachliches Wissen besitze (bisher ist mir diesbezüglich keine einschlägige Studie bekannt, die sich diesem Phänomen widmet, und die einzigen Details, die mir in dieser Hinsicht einfallen, und zu einem tieferen Verständnis beitragen könnten, beträfen meine Schulzeit. Denn bereits dort habe ich zu jenen gehört, die nach Schulende als erstes das Schulgebäude verließen, und auf dem direkten Weg nach Hause zurückeilten, tatsächlich war es eher ein Stürmen, um sich nach der unentrinnbaren Eingliederung in ein soziales Gefüge wieder in die eigenen vier Wände zurückzuziehen, anstatt etwa auf den Treppenstufen mit Klassenkameraden länger zu verweilen, gemeinsam in Kiosken Klebebilder oder klebrige Süßigkeiten aus großen Sammeltöpfen zu beziehen oder gar gemeinsam durch die Stadt zu stromern).

Tatsache ist also, dass ich an jenen durchschnittlich zwei, manchmal drei, und nur sehr selten (ja, dies sind durchweg Wochen, in denen mich soziale Situationen auf diffuse Art und Weise mehr als sonst und über die Maßen strapazieren und sich auf meine Stimmungen niederschlagen) an vier Tagen in der Woche, mit dem Betreten meiner Einheit direkt zur Kocheinheit stürze, obwohl es meiner Gewohnheit, aber mehr noch meinem Hygieneempfinden widerspricht, mit Straßenschuhen, die Jacke am Leib, meine Wohnung, und im Besonderen die Kochnische, zu betreten. Ohne Zögern öffne ich das Gefrierfach (oft erweckt es den Eindruck eines Reißens, das aber nur durch die Gummilippen der Gefrierfachtür hervorgerufen wird, die sich nur widerwillig vom Leichtmetall des Kühlschrankgehäuses lösen und so einer angemessenen Kraftanstrengung bedürfen), dem Gefrierfache entnehme ich einen Gefrierbeutel, dem Beutel zwei Donuts, einen der beiden lege ich zum Auftauen sofort in ihre Mikrowelle. In den fünfunddreißig Sekunden, in denen ihre Mikrowelle meinen Donut auftaut (und leicht anwärmt, es ist nur ein Hauch, der aber perfekt ist, die Simulation, dass es sich um einen ofenfrischen Donut handeln könnte, würde mir in diesem Moment bitter aufstoßen) (hat nicht schon meine Mutter die Donuts in meiner Kindheit in der Mikrowelle aufgetaut, nicht im Ofen erwärmt, ohne dass ich mich der Mikrowelle während des Betriebs jedoch nähern oder gar meine Stirn oder Nase gegen deren durchsichtige Tür pressen durfte?), schenke ich mir ein Glas Kuhmilch ein (1,5 % Fett mit Vitamin D Zusatz, 225 ml), um daraufhin  den Donut aus der Mikrowelle zu nehmen (erst beiße ich vom Donut ab, dann trinke ich einen Schluck Milch, mit der ich nur den letzten Rest des Donuts hinunterspüle). Donut und Milch nehme ich stets stehend in der Kochnische ein, ich erwähne dies, um den hohen Stellenwert und den Schwellencharakter zu betonen, den dieser erste Donut im Eintritt in meine Einheit für mich einnimmt, von der innerlichen, und auch physischen, letztlich handelt es sich wohl um eine psychosomatische Unruhe, hin zu einer Entspannung, die sich von Biss zu Biss in meinem Körper verbreitet (vergleichbar vielleicht mit dem wässrigen Nebel, der sich am Morgen beim Duschen aus dem intelligenten Duschkopf ihrer Konkurrenz (Modell e3250 X) langsam um den Körper schließt, um erst allmählich Tropfen und kleine Wasserbäche zu bilden, die, nun selbsttätig mit einem knapp bemessenen Spritzer Seife versetzt, den Oberkörper (das leichte Kitzeln um die Hüften), dann die Beine hinunterkullern, bis sie in kleinen Schaummuränen meine Knöchel und Füße erreichen). Folglich atme ich erst danach tief durch, fahre mir mit beiden Händen durch die Haare. Anschließend öffne ich den Reißverschluss meiner Jacke und streife die Schuhe ab. Ich dehne mich. Daraufhin schlüpfe ich in meine empfindsamen Hauspuschen, die die Innenraumtemperatur in Rückkopplung mit meinem Pulsschlag und Blutdruck perfekt regulieren. Erst jetzt lege ich den zweiten Donut in die Mikrowelle, diesen werde ich auf meinem Sessel in der Komfortzone sitzend, vor mir der wandfüllende Bildschirm, genießen. Alles in allem mag es ein bescheidenes, äußerst anfälliges und auch befristetes Glücksgefühl handeln, mit dem ich jetzt die wohltemperierte Komfortzone betrete, den Nachgeschmack des ersten Donuts und der Milch noch frisch im Gaumen (ein Nachgeschmack, der zugleich die Vorfreude auf den zweiten Donut befeuert), manchmal trage ich ihn in einer Serviette eingehüllt, manchmal auf einem Unterteller. Im Hintergrund spielt meine Lieblingsmusik, die automatisch startet, sobald sich die Wohnungstür nach meinem Eintritt in die Einheit selbsttätig schließt, gleichzeitig schaltet sich die indirekte LED-Beleuchtung sowie das Akzentlicht im Wohnbereich an, die Rollläden sind halb geschlossen, wie ich es am liebsten habe, vielleicht huscht soeben noch der Fensterstaubsaugroboter über das Glas, nicht selten, stelle ich mir vor, entdeckt er auf der Scheibe ein Schatten, der erst im Schein der tief stehenden Sonnenstrahlen sichtbar wird, so wie einem nachträglichen Blick, der zufällig aus einem unerwarteten Winkel auf die Chromverkleidung der Küchenablage fällt, die man erst vor wenigen Minuten akribisch gewischt hat, plötzlich eine weitere, zuvor übersehene Schliere ins Auge springt (obwohl mir natürlich bewusst ist, dass der BrightSight die Schatten und Schlieren nicht sieht, wie ich sie sehe, dass er überhaupt nichts sieht, sondern auf unergründliche Weise vorausberechneten Bahnen folgt, die sich dann aber dennoch niemals genau gleichen, für mein Geschmack ein wahres Mysterium). Alles ist maximal friedlich, maximal ruhig. Wie gesagt bin ich mir im Klaren darüber, dass das Equilibrium, das ich in diesem Moment in meiner Einheit erlebe, fragil sein mag, schließlich leben wir, wie nahezu täglich zu lesen und zu hören ist, in unsicheren Zeiten. Wenn ich in der Komfortzone stehe (soeben im Begriff, mich in dem intelligenten Fernsehsessel Belaqua niederzulassen – die Pobacken haben die Sitzfläche noch nicht berührt, schon blendet die Musik aus den Boxen aus, das Licht dimmt hinunter, und auf der Wand gegenüber des Sessels, die sich an der entsprechenden Stelle als Monitor erweist, erscheint ein Videobild, ich komme darauf zurück, es handelt sich um Aufnahmen aus dem All, aufgenommen von einer Sonde, manchmal ist es sogar ein Raumschiff, die in Realtime, also Lichtgeschwindigkeit, gesendet werden), erfasst mich ein Schwindel, bei dem Gedanken, dass es möglicherweise nur wenig bedarf, nur ein Glied, das in dieser fein aufeinander abgestimmten Kette ausschert, um ein ganzes Gefüge durcheinander zu bringen oder eine Mission zu vereiteln. (Haben Sie jüngst den Bericht über wachsenden Müllmassen im Weltraum zur Kenntnis genommen? Anlass des Artikels war eine Besatzung, die ihr Raumschiff wegen heranfliegender Schrottteile evakuieren musste, ich weiß nicht, ob Sie eine klare Position in Sachen Weltraumschrott beziehen? Oder gar darüber nachdenken, selbst Maßnahmen zu ergreifen oder zu veranlassen, dass Maßnahmen von Dritten ergriffen werden?)

Aber ich will endlich auf besagte Hergänge oder Abläufe (sofern es sich um welche handelt und schlussendlich nicht nichts?) zu sprechen kommen. Nachdem ich nach meinem Einzug o.g. Mikrowelle in Betrieb genommen habe, wurde ich mit der Zeit auf Zusammenhänge kommunikativer, und wie ich meine, kausaler Art aufmerksam, zumindest festigte sich die Vermutung, dass ein diskretes Verhältnis, das letztlich durch meine Person oder mein Verhalten getragen sein musste, zwischen o.g. Mikrowelle, o.g. Universalfood Donuts und o.g. Bildern des Weltraumkanals besteht. Über Textnachrichten, die auf diversen Endgeräten eintrafen und mich etwa über vorteilhafte oder weniger vorteilhafte Nährwerte unterrichteten, an die Nährwerttabellen schlossen sich wiederum weitere Ermutigungen oder Angebote an, oftmals erreichten mich auch e-Coupons für eben jene Donuts mit einer Haselnuss-Vanillecremefüllung, die ich am liebsten verzehre, und die beispielsweise in Aussicht stellten, beim Kauf des nächsten XL-Gefrierbeutels die aus den Donutlöchern gewonnen Teigbällchen der Bestellung gratis beizulegen, machte ich mir anfangs keine weiteren Gedanken. Ich wäre sogar verlegen zu sagen, wann der Weltraumkanal anstatt der Weltraumbilder erstmals jene Spots zeigte, die dann zur Gewohnheit wurden, anfangs handelte es sich wenn ich mich richtig erinnere um eine One-apple-a-day Kampagne: eine Formation grüner Äpfel flog gleich Amseln durch einen üppigen Garten, schwang sich kurz darauf in einen blauen Himmel auf, geriet außer Sichtweite, nur um unmittelbar darauf auf eine planetarische Umlaufbahn einzuschwenken. Die Bilder, so der Anschein, waren aus der Perspektive der Kamera meines Weltraumkanals aufgenommen, der Übergang zum Stream des Weltraumkanals vollzog sich gekonnt und war für das ungeübte Auge kaum auszumachen, zumal mich die entsprechende Ermunterung, der One-Apple-a-day-Bewegung beizutreten sowie die Erläuterungen der damit verbundenen Vergünstigungen nicht über den Bildschirm, sondern textbasiert erreichten, ohne den Fluss der Bilder zu stören. Wenige Tage später folgten Bilder von Donuts, die in der Anordnung ganzer Galaxien durchs All schwebten; dieser Eindruck stellte sich freilich erst ein, als ein einzelner Planet sich aus der Nahsicht plötzlich als ein in einen weißen Zuckerguss gehüllten Donut classic entpuppte, der sich in der Formation weiterer Teigwaren in der darauffolgenden Fernsicht schließlich wieder in ein zwar kleines, aber eigenständiges Sonnensystem zurückverwandelte. Wie dem auch sei: Dass die Botschaften und Bilder in einer Verbindung mit ihrer Mikrowelle stehen, erhärtete sich, als ich eines Abends auf dem Weltraumkanal von einem Arzt empfangen wurde, der meinem Hausarzt zum Verwechseln ähnlich sah (oder sollte er es tatsächlich gewesen sein?). Er betonte die Notwendigkeit einer bestimmten Anzahl von Schritten, die jeder Einzelne früher aufgrund zahlreicher Botengänge etwa zum Supermarkt oder zur Post täglich automatisch absolviert hatte, heute konnte und musste dieses Pensum dagegen aktiv gestaltet werden (die Informationen über die Geräte, die Sie diesbezüglich im Angebot haben, und die es einem ersparen, zur körperlichen Ertüchtigung seine Wohneinheit verlassen zu müssen, habe ich mehrfach erhalten) (wobei ich an dieser Stelle vielleicht die Nachfrage nach einer Applikation äußern kann, denn bisher konnte ich nur Applikationen finden, die Gewichtsabnahmen, jedoch gezielt keine langfristigen Gewichtszunahmen aufzeichnen?). Als die Ansprache meines Hausarztes sich ihrem Ende neigte, zoomte die Kamera von seinem Gesicht weg, und der Hometrainer kam ins Bild, auf dem er während seiner Ansprache gesessen hatte. In einer weiteren Einstellung stellte sich heraus, dass der Hometrainer in einer Raumschiffkapsel stand, der Arzt lächelte ein letztes Mal (mehr als einmal meinte ich tatsächlich, dieses Aufblitzen in seinen Augen wahrzunehmen, das eine Wiedererkennung signalisiert), zustimmend reckte er einen Daumen in die Höhe, bevor die Kamera seitlich zu einem runden Kajütenfenster und hinaus ins All schwenke, und zu den Bilder des Weltraumkanals überblendete, die mir so gut vertraut waren. Ab und zu erschien an seiner Stelle seine Arzthelferin oder eine Beraterin meiner Krankenkasse oder der Manager einer mit Universalfood konkurrierenden Supermarktkette, Mal waren sie in einem Raumkapsel untergebracht, Mal erreichte mich ihre Nachricht vom staubig verwehten, ins rötlich changierenden Grund des Planeten Mars.

Raubten die Bilder mir meine ersehnte Ruhe oder erregten sie meinen Missmut?

Nein, keineswegs.

An jenen Tagen, an denen ich die Mikrowelle nicht bediente, blieben die Botschaften und Bilder gewöhnlich aus und auch dies entsprach meiner Stimmung, weil ich mir an diesen Abenden, frei von der inneren Anspannung, selbst genug war. Manchmal verzehrte ich an diesen Tagen sogar einen Apfel, und auch diese Vorstellung bereitete mir mitunter ein geradezu diebisches Vergnügen, weil ich mit dieser Wahl, die den Mitgliedern der One-Apple-a-Day Bewegung oder meinem Hausarzt doch so sehr hätte zusagen müssen, alleine war (es mag eine egoistische Freude sein, die ihrem unternehmerischen Gemeinschaftsgeist widerspricht, aber ich schildere hier nur, was ich empfand). Denn bereits am Folgetag registrierte ich, dass ich mir schon während der erste Donut in der Mikrowelle kreiste, der zweite ruhte tiefgefroren auf der Ablage, Gedanken machte, wer mich wohl heute von welchen Ort auf dem Weltraumkanal empfangen würde und mit welcher Botschaft. Ich war mir vollkommen gewiss oder vielmehr meinte ich zu wissen, dass mich die Bilder und Botschaften notwendig erreichten, sobald ich einen Donut in der Mikrowelle platzierte, weil beide in jenem erwähnten Beziehungsgefüge eingebettet waren, und ich sage es frei heraus: Dieses Wissen, mit meinem Verhalten die Bilder und Botschaften nicht kontrollieren, nein, sie aber vielleicht doch in einer gewissen Richtung zu steuern oder auch nur zu beeinflussen, oder sagen wir sie anzustupsen, bereitete mir eine bescheidene Genugtuung. In der Retrospektive kommt es mir sogar so vor, dass diese Bilder und Botschaften aus dem All, die ihren Ursprung natürlich in einem jeweils eigenen Interesse ihrer Sender hatten, dennoch ein Interesse spiegelten, das dem meinem kongenial entgegenkam, sich mit diesem kreuzte, und darin eine belebende, aber auch beruhigende Wirkung entfalten konnte. Musste nicht gerade das All groß genug sein, um mir mit meinen Bedürfnissen genügend Raum zu gewähren, und war es nicht so unermesslich groß, dass mir jene Bilder und Botschaften, die sich abends vor dem Bildschirm in meine Vorstellungswelt einschrieben, als Anker und Trost dienen mussten, dass ich dort draußen mit meinem Bedürfnissen nicht vollkommen allein unterwegs war?

An jenem 6. Juni – denn wenn ich mich in der Rekonstruktion der Ereignisse nicht täusche, markiert dieser Tag den Wendepunkt oder Umschwung in den oben geschilderten Abläufen –, kehrte ich nicht anders als sonst von der Arbeit in meine Einheit zurück. Wie gewöhnlich verzehrte ich meinen ersten Donut stehend in der Küche, mit dem zweiten begab ich mich in einer leichten Anspannung, die aber bereits im Abklingen war, in die Komfortzone. Als ich mich niederließ und der Bildschirm ansprang, liefen nun aber lediglich die tonlosen Bilder des Weltraumkanals, die tiefe Schwärze des Alls schien plötzlich mit Händen greifbar zu sein, nur hier und dort war der weite Raum von winzigen Lichtquellen erleuchtet, die ihre Wellen aussendeten, indem sie sich selbst verzehrten und nichts taten, als ihrem eigenen Ende entgegen zu glühen – ein Ende, dass bereits unwiederbringlich eingetreten war, als ihre Nachricht mich erreichte. An jenem Abend machte ich mir keine weiteren Gedanken über den Ausfall jeglicher Bilder oder Botschaften eines Agenten oder Werbeträgers, die Irritation wuchs erst, als dieser Ablauf sich am folgenden Tag wiederholte und in den nachfolgenden Tagen und Wochen zur Norm wurde, ohne dass ich mich entsinnen kann, an jenem Dienstag den 6. etwas anders oder anderes gemacht zu haben als zuvor. Die Botschaften und Bilder blieben seitdem aus, egal, ob ich erregt oder gelassen in meine Einheit zurückkehrte, ob ich die Mikrowelle bediente oder nicht, ob ich einen Donut oder nährreiches Gemüse auf dem Drehteller platzierte. Weder meinen Arzt noch dessen Helferin oder sonst eine Person hat mich seither auf dem Weltraumkanal empfangen. Die Frage, die mich seither umtreibt, lautet daher schlicht, ob jene diskrete Kommunikation zwischen o.g. Mikrowelle, o.g. Donut und o.g. Botschaften jemals vorgelegen hat? Und sollte sie tatsächlich vorgelegen haben, frage ich mich, warum sie inzwischen gekappt ist, oder ob sie sich mittlerweile nur auf eine für mich noch nicht erkennbare Weise verschoben hat? Es liegt mir also fern, den Verdacht zu äußern, dass ihre Mikrowelle möglicherweise gar nicht in der Lage ist, die ihr zugeführten Produkte zu identifizieren. Bedeutet das aber im Umkehrschluss nicht, dass ihre Mikrowelle plötzlich keine Notwendigkeit mehr sieht, diese Informationen an Dritte zu kommunizieren? Oder hat sich möglicherweise nur die Adresse jener Dritten geändert? Natürlich bin ich davon überzeugt, dass sich die Dinge zum Guten fügen werden und vielleicht klären sich die Dinge von alleine – sagt man nicht, dass der Fortgang der Zeit eine heilende Wirkung ausübt? Noch verspüre ich ab und an aber jene Irritation, und ja, Niedergeschlagenheit, ohne dass ich ihren Sitz präzise in meinem Körper lokalisieren könnte – und doch bringe ich diese Stimmungen mit den Hergängen an o.g. Dienstag in Verbindung, kurz: Die Weltraumbilder, die mich zuvor von den täglichen Sorgen befreiten und in jene stille und erhabene Weite des Alls hoben, versetzen mich plötzlich in eine scharfe Unruhe, als wollten mich dieselben Bilder nun in eine ebenso große wie dunkle Leere hinaustragen, und zwar alleine, vollkommen auf mich gestellt. Ist es nicht ein beängstigender Gedanke, dass das All in seinem unermüdlichen Drang, auseinanderzustreben und immer weiter auseinander in dieser Bewegung nichts als neue Räume der vollkommenen Leere erschließt?

Nein, ich weiß nicht, ob ich mich deutlich machen kann, und ob mein Unbehagen tatsächlich in einem Zusammenhang mit ihrer Mikrowelle steht, sofern diese überhaupt jemals in jener von mir vermuteten diskreten Beziehung zu den Dingen und Abläufen in meiner Einheit stand? Dass ein Telefonat der bessere Weg wäre, um mein Unwohlsein Ihnen gegenüber zu artikulieren, will ich hierbei gar nicht bestreiten. Tatsächlich habe ich es mich einiges an Mühe und Zeit kosten lassen (elf Anrufe über drei Tage, während ich Sorge trug, zu jeweils unterschiedlichen Tageszeiten anzurufen, um mögliche Hochphasen zu umgehen und mögliche Flauten zu erwischen, sicher haben sie diesbezüglich verlässliche Zahlen vorliegen, leider war es mir jedoch nicht möglich, die entsprechenden Angaben zu finden), um eine ihrer Kundenberaterinnen zu erreichen (ist es wahr, dass man nach 10 Uhr abends, sofern man durchgestellt wird, zu einem Callcenter in Indien oder Bangladesch vermittelt wird, was allerdings unverständlich wäre, wenn jene anderen Aussage zuträfe, die ich gelesen oder gehört habe, dass der Großteil der Anrufe inzwischen von Sprachsoftwaresystemen verwaltet wird?). Als es beim elften Anruf soweit war (ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr daran geglaubt, dass sich jemand meldet, in Gedanken war ich demnach abgeschweift, auch wenn es mir im Nachhinein unmöglich ist, zu sagen, welche Gedanken mich konkret beschäftigten, ich weiß nicht, ob dies für ihre Recherchen im Dienst verbesserter Dienstleistungen evtl. von Interesse gewesen wäre?), hat mich die helle Frauenstimme in eine momentane Verwirrung gestürzt, selbst nach dem dritten Hallo?, gefolgt von der Nachfrage ihrer Kundenberaterin (die vielleicht auch nur über ein Sub-Unternehmen bei ihnen angestellt ist), ob sich am anderen Ende der Leitung jemand befände, schien es mir plötzlich unmöglich, oder vielmehr verließ mich der Mut, mein Anliegen mündlich zu schildern. Ich will ihrer Telefonisten, die ihre Arbeit unter hohem Leistungsdruck ausführt (ich meine gelesen zu haben, dass Telefonistinnen im Callcenter meistens leistungsbezogenen, sprich: gemäß der Anzahl der Gespräche die sie abwickeln honoriert werden?), keinen Vorwurf machen, aber es mag auch an einer gewissen Ungeduld gelegen haben, die sich von einem Hallo? zum nächsten meinem Gespür nach empfindlich steigerte, der sicher kaum wahrnehmbare Ton einer aufkeimenden Gereiztheit, für die ich vielleicht über die Maßen sensibel bin, und die mein Vorhaben, mein Anliegen lieber telefonisch statt postalisch zu artikulieren von Hallo? zu Hallo? in eine zunehmend weitere und schließlich unerreichbare Ferne rückte. Es schien mir vergeblich, einer möglicherweise ungeduldigen Person erklären zu wollen, was sich wie oben geschildertes nur schwerlich auf dem direkten Weg benennen lässt, und deshalb auf Geduld und ein gewisses Wohlwollen seines Gegenübers angewiesen ist, zumal ich anderen Menschen ungern zur Last falle. Ich habe die Verbindung rasch und wortlos abgebrochen.

Nein, wie sie meinem Schreiben vielleicht entnommen haben, bin ich kein Mensch, der vor Selbstbewusstsein strotzt, in einer Runde bestehend aus vier oder fünf Menschen, manchmal genügen schon ein oder zwei, fällt es mir schwer, selbst in eine Stille hinein, das Wort zu ergreifen. (Und ja, manchmal stürzt es mich in eine tiefe Verwirrung, um nicht von einer Verzweiflung zu  sprechen, dass der gefühlte Raum, vielleicht kann man auch von einer Art der Präsenz sprechen, die in einer Runde bestehend aus vier oder fünf Menschen mein Körper physisch einnimmt, in einem solchen Gegensatz zu dem Raum steht, den ich meiner Stimme zugestehe.) Aber all das gehört nicht hierher, ich beginne abzuschweifen, sodass ich abschließend nur betonen möchte, dass mein Schreiben nicht unter die Rubrik der gewöhnlichen Kundenbeschwerde fällt (erst kürzlich habe ich zum wiederholten Mal einen weiteren Artikel gelesen, der schilderte, in welchem Ton die Kunden ihre Beschwerden äußern; über den mangelnden Takt, ja, die offene Wut und Gehässigkeit, bin ich vermutlich nicht anders als Sie, in höchstem Maß beunruhigt, sowohl entsetzt als auch betrübt, auch wenn ich darin trotz allem keinen Grund sehe, sich auf kulturpessimistische Abwege zu begeben, ihrem Team, oder dem von ihnen via Sub-Unternehmen engagierten Mitarbeiterstab, zolle ich aber auch deshalb umso größeren Respekt bzw. beglückwünsche ich Sie, falls Sie die Hotlinedienste inzwischen tatsächlich weitgehend automatisiert haben.) Aber natürlich würde es mich in diesem Kontext auch keineswegs erstaunen, beziehungsweise gehe ich mehr oder weniger davon aus (und ich sage dies frei von einem Vorwurf oder einer Enttäuschung), dass Sie dieses Schreiben zuerst maschinell lesen und auswerten (verschlagwortet?, und mit einer Synopse oder einem Dringlichkeitsmarker versehen? – leider sind meine Kenntnisse in diesen Dingen begrenzt) (die Datenbanken und -speicher, auf die Sie zurückgreifen müssen, liegen womöglich nicht einmal voll und ganz in ihren Händen, sondern ausgelagert in anderen Ländern und bevorzugt kalten Regionen (Permafrost)?), sodass einige Zeit vergehen kann, bevor einer ihrer Mitarbeiter die Zeit findet, sich der Sache anzunehmen. Vielleicht wird aber auch niemals eine Mitarbeiterin ihres Unternehmens das Schreiben tatsächlich lesen (oder vielleicht nur zufällig, im Zuge von Stichproben, die möglicherweise regelmäßig durchgeführt werden, ich meine, ähnliches in einem anderen Kontext bezüglich eines vergleichbaren Dienstleisters gehört zu haben, obwohl es in diesem Fall darum ging, dass anstößige Bildinhalte gelöscht werden, eine Arbeit die bislang offenbar noch nicht von Software erledigt werden kann?). Wie dem auch sei, selbstredend kann und werde ich nicht beurteilen, ob eine computergenerierte Rückantwort besser oder schlechter ausfallen würde, als eine von ihren Serviceexperten persönlich verfasste (ist es nicht vorstellbar, dass ihre Maschinen auf ein ganz ähnliches Schreiben, vielleicht sogar bis hin zum Tonfall oder Satzbau, von einem ehemaligen Nutzer finden, von dem ihrer Kundenberaterinnen unmöglich wissen können, und dem man sich bereits damals in einer gebührenden Tiefe widmete?). Zudem wäre es aber vermessen, mich mit meinem Anliegen als Einzelfall zu betrachten, der eine besondere Behandlung verdient, und selbst wenn dem so wäre, wäre es vermessen, diesem Einzelfall, gerade weil er keine allgemeine Relevanz besitzt, eine gesteigerte Aufmerksamkeit ihrerseits abverlangen zu wollen, all dies ist mir bewusst. So bleibt zuletzt also nur dir Nachfrage, ob ich mich bei Ihnen an die richtige Adresse gewendet habe? Gegebenenfalls bitte ich, mein Schreiben zu ignorieren, oder mich davon zu informieren, dass Sie in dieser Sache nicht zuständig sind und das Schreiben deshalb unbeantwortet lassen. Universalfood, aus deren Produktportfolio o.g. Krispy Cream Donut natur mit laktosefreier Haselnuss-Vanillecremefüllung stammt, haben deren Zuständigkeit mit einem eindeutigen Negativbescheid quittiert (was nicht anders zu erwarten war, nur die leicht zugängliche Kundenhotline auf dem Gefrierbeutel, die mich beim ersten Versuch mit einer freundlichen Mitarbeiterin des Unternehmens verbunden hat, hat mich bewogen, es wider besseres Wissen trotzdem zu versuchen, und heißt es darüber hinaus nicht, dass man sich seinem Ziel manchmal am besten über ein Ausschlussverfahren nähert), gleiches gilt für den Generalunternehmer, bei dem ich meine Einheit auf Kredit erworben habe, ohne dass man mir jedoch hinsichtlich des zuständigen Ansprechpartners bisher weiterhelfen konnte.

 

Mit freundlichen Grüßen,

Henning

 


 

*This story is taken from: “Vor Anbruch der Morgenröte” by Philipp Schönthaler © 2017 Verlag Matthes & Seitz, Berlin/Germany.

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